Ich baue mal einen kleinen Bogen. Über das Thema Tinnitus. Permanentes Ohrgeräusch.
Tinniti haben eine durchaus objektiv messbare Lautstärke, beziehungsweise testbare Lautstärke. Als auch eine subjektive Lautstärke. Ich bin jetzt schon etwas aus der Materie heraus, vor ca. 20 Jahren war der damals lauteste getestete Tinnitus ca. 10db.
Das ist ein Wald bei Windstille.
Gleichzeitig berichten so manche Betroffene von deutlich höherer Belastung. Laut wie eine Bohrmaschine. Laut wie ein Rasenmäher. Laut wie eine Flugzeugturbine!
Subjektiv ist das die Belastung. Objektiv kann das nicht stimmen, denn man kann mit Betroffenen sprechen, ohne Schreien zu müssen.
Wie kommt es dazu? Wieso leiden viele Menschen kaum bis gar nicht an einem Tinnitus, während andere (trotz halbwegs objektiver Belastung in einem ähnlichen Lautstärkebereich) das Gefühl haben einen Rasenmäher neben sich zu haben?
Aufgrund der Art, wie unsere Aufmerksamkeit funktioniert. Wir richten sie auf etwas, und das wird größer. Wir kämpfen gegen etwas an (z.B. auf keinen Fall an blaue Giraffen denken!), und es wird größer.
Tatsächlich steht hier schon die Lösung:
Das „richtig laut“ wird nicht so sein, dass ein Blasorchester unter Eurem Zimmer spielt.
Denn das ist „richtig laut“.
Ich denke mal, dass es ganz „anders als vorher“ ist, und das ist nun mal normal.
Hast Du mal mit dem Handy die Dezibel gemessen? Vielleicht für uns? Vielleicht einfach, um eine rationale Zahl zu bekommen?!
Bei anderen gibt es auch vorher/nachher Unterschiede: da hat man auf einem Mal eine stockdunkle Küche, einen viel zu schmalen Flur, ein zu helles Schlafzimmer, eine zu laute Technik gefühlt neben dem Bett, zu warme Speis oder zu kaltes Bad, ein viel zu kleines Kinderzimmer und viel zu raue und harte Fliesen im Wohnzimmer, ganz zu Schweigen vom Einblick, den die Nachbarn in den Garten haben - und alles geht gar nicht. Gar nicht, wenn Du verstehst.
Und dann wird aber erst einmal weitergemacht, weitergelebt, weil Kinder in die Schule und man selbst zur Arbeit muss. Leben geht weiter, die Konzentration geht aufs Wesentliche, Prioritäten verschieben sich und rücken sich zurecht.
Die stockdunkle Küche ist gar nicht so dunkel am Tag, nur dunkler am Morgen, für das Schlafzimmer werden Gardinen gekauft (endlich mal wieder Stoff vor die Wände), der Lärm der Technik relativiert sich neben dem schnarchenden Mann, fürs Bad kommt ein Radiator in Frage, Speis ist ärgerlich und nutzt man dann nicht für das Obst (den Konserven und Geräten ist es egal), und das mit den Nachbarn: das hat sich richtig nett eingespielt mit denen. Die Kinder finden sich und spielen miteinander. Die Erwachsenen gehen respektvoll mit dem Sichtfenster um.
Hier richtet sich in dem Bild die Aufmerksamkeit auf andere Dinge. Dann schrumpft die Belastung wieder.
Ich möchte mehrere Schritte empfehlen:
1. tatsächliche Lärmbelastung messen. Von den Beschreibungen her müssten die Geräusche schon im Bereich über 65db sein. Falls nicht, siehe Tinnitus, ist Wahrnehmungslenkung (siehe oben) mit im Boot. Insbesondere, wenn die Geräusche unter 40db sein sollten, würde ich sehr - Wortspiel beabsichtigt - hellhörig werden. An Wahrnehmungslenkung kann gut gearbeitet werden.
2. sind die Geräusche übermäßig negativ besetzt? Falls ja, ist wieder ein Teufelskreis aktiv, welcher das wahrgenommene Leid verstärkt. Manche Geräusche lassen sich vermeiden. Andere nicht. Ist wie mit dem Tinnitus - der verfolgt einen auch, wenn man ihn lässt.
3. ist dies der Schauplatz, an dem sich die ganze emotionale Belastung der aktuellen Situation entlädt? Quasi der Blitzableiter?
Wenn Antworten hierauf gefunden sind, dann kann eine gute Entscheidung getroffen werden.
Viel Glück und Erfolg!